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Ein Familientreffen

Bericht von der 2. anarchistischen Buchmesse Mannheim
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Ein Familientreffen. Das war die passendste Beschreibung der 2. anarchistischen Buchmesse Mannheim, die ich eben dort hörte. Wer schon öfter auf anarchistischen Buchmessen oder der Limesse war, kannte sicherlich einige der anwesenden Verlage und Personen.

Als Familientreffen erfüllt eine Buchmesse eine wichtige Funktion: Sie erhält Kontakte, stiftet neue und ist so von äußerster Wichtigkeit für anarchistisches Networking. Das Networking war auch bedeutender als die Bücher selbst, wer dreimal durch den Raum mit ihnen gegangen war, entdeckte nicht mehr allzuviel Neues.
 Wie jedes Familientreffen war auch dieses nicht vollständig von Spannungen frei. Da gibt es den Onkel, der einige Verwandte verärgert hat, und die zerstrittenen Geschwister, die nicht mehr am selben Tisch sitzen können. Doch derartiges tauchte mehr im Small Talk auf, als dass es für die Veranstaltung selbst von Gewicht gewesen wäre.

Neben den Büchern selbst, gab es eine Reihe von Lesungen und Vorträgen zu unterschiedlichen Themen. Aber da ich selbst bei nur relativ wenigen davon anwesend war, möchte ich mich hier allen Generalisierungen außer einer verwehren: Thematisch waren sie einigermaßen divers, gehalten wurden sie aber hauptsächlich von weißen Männer. Das Geschlechterverhältnis in der deutschsprachigen anarchistischen Bewegung ist immer noch blamabel im Angesicht der eigenen Ansprüche, dies zeigt sich bei solchen Veranstaltungen immer wieder von neuem. Dies wird auch offen eingestanden und bedauert, wenn darauf hingewiesen wird, Ideen oder – besser noch – Initativen dies zu ändern sind jedoch rar.

Die Besucher ließen sich grob in zwei Gruppen, oder eher in ein Kontinuum mit zwei Polen teilen: Einerseits die alten Hasen (und sehr wenige Häsinnen), andererseits junge Aktivist_innen, die oft ein subkulturelles Auftreten (insofern sich von soetwas angesichts der zunehmenden Abwesenheit einer Mainstreamkultur) teilen. Am interessantsten erscheinen mir die Personen, die irgendwo dazwischen liegen. Älter als die jungen Aktivist_innen sind sie Anarchist_innen in einer Lebensphase in der die eigene Radikalität von vielen aufgegeben wurde. Für eine Reflexion der Bewegungsdynamiken wäre es von großer Bedeutung auf diese Wechselphasen zu schauen um zu verstehen, warum Leute anarchistisch aktiv werden, bleiben oder damit aufhören. Insbesondere wie die Aufrechterhaltung einer anarchistischen Aktivität über die Selbstzuschreibung in postfordistischen Arbeitsverhältnissen möglich ist, verdient große Aufmerksamkeit. Auffallend ist zudem, dass ein großer Anteil der Organisator_innen in diese mittlere Gruppe fallen.

Diesen ist im übrigen die Planung gut gelungen. Die  Buchmesse war nach allen Maßstäben größer als die erste vor zwei Jahren, auch wenn ich der Angabe von bis zu 2000 Besucher_innen, die von der anarchistischen Gruppen Mannheim verbreitet wird, etwas skeptisch  gegenüberstehe. Schlafplätze, Konzerte als Abendprogramm und auch warmes Essen waren zur Genüge und darüber hinaus vorhanden. Der Eintritt blieb dabei frei, dafür wurden bei den Vorträgen Klingelpappschachteln durchgereicht. Von den Organisator_innen hörte ich, dass das FdA als Rückhalt die Organisation erleichtert hätte. Auffällig ist jedenfalls, dass derartige Großereigenisse zumeist aus der Ecke des Anarchismus zu kommen scheinen, die Organisationen größere positive Bedeutung zuschreibt. Womöglich ist auch hier wieder eine soziologischer Zusammenhang zu erkennen. Möglicherweise lässt sich ein längerer Aktivismus mit fixeren Strukturen eher aufrechterhalten und dieser größere Erfahrungshorizont durch könnte eventuell die Organisation von Ereignissen, wie Buchmessen, die zwar nicht Ruhm aber Aktivität versprechen wichtiger erscheinen lassen.

Systempunkte.org war auch auf der Buchmesse vertreten, unter anderem durch einen Reader und mit einer Vorstellung gemeinsam mit der GaiDao, bei der wir gefeiert und auf Händen getragen wurden.