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Terror in der vergleichenden Methode

Schon kurz nachdem die terroristische Zelle "Nationalsozialistischer Untergrund" in groben Zügen aufgedeckt worden war, kam es zu überlegen, gar hämischen Reaktionen aus linken bis linksliberalen Blättern: WIR haben doch schon immer vor rechten Terrorismus gewarnt, doch die zuständigen Behörden (insbesondere der Verfassungsschutz) haben lieber Antifaschist_innen schikaniert statt gegen die Entwicklung vorzugehen.

Nun ein Bekenntnis: Ich habe davon nichts geahnt. Mehr noch ich hätte einen solchen Abgrund, wie er sich jetzt auftut, nicht für möglich gehalten. Mir war bewusst, dass eine breite neofaschistische Szene gibt und die Mitglieder dieser nicht von Morden zurückschreckt. Der Amoklauf eines Einzelnen aus einem rassistischen oder antisemitischen Hintergrund heraus, wie im Falle Breivik, wäre mir durchaus plausibel gewesen. Doch eine wirkliche Terrorzelle, die mehrere Morde durchführt, Bomben legt, Banken überfällt und von einer kleinen Gruppe Unterstützer_innen (oder gar dem ganzen Verfassungsschutz) getragen wird, dies alles hätte ich nicht für möglich gehalten. Nicht nur Hans-Peter Uhl ließ sich vom ruhigen Schein trügen, sondern auch ich. Immerhin trug ich diesem nicht in jener Weise zu, wie er es tat. Doch dieser Schein ist nun gebrochen. Die Realität der deutschen Zustände hat sich erneut in unser Bewusstsein gebombt.

Die Vergleiche mit der RAF hingegen, die jetzt wie Kugeln aus der MP5 schießen, sind eine mühselige Folge des Scheins. Von einer "Braunen Armee Fraktion" ist da die Rede. Eine vereinfachte politische Farbenlehre. Hier handelt es sich einerseits um die diskursive Wirkung der vom Verfassungsschutz vorangetriebenen Extremismustheorie (besser: Extremismusideologie), einer kaum tragbaren Vernachlässigung von Details, die schlicht dazu dient, sich abzugrenzen. Andererseits ist dieser Vergleich treffender als jener, der dieses Jahr "die Anschläge", besser wäre es von Sabotage zu reden, auf die Deutsche Bahn mit den Taten der RAF in Verbindung brachte. In ihrem Verhältnis zur Gewalt und in der Logik der Vorgehensweise ist der NSU der RAF deutlich näher, als alles was ich in der linksradikalen Bewegung Deutschlands derzeit vor sich geht. Doch dieser Vergleich kann nur sehr beschränkt gelten, und ausschließlich unter Ausblendung politischer Zielsetzungen.

Um auf die vergleichenden Methoden nach John Stuart Mill zu verweisen: Der Vergleich zwischen NSU und RAF sollte der Methode der Übereinstimmung folgen (auch "method of most different cases" genannt). Dem Zufolge lautet unsere erste Einsicht in der hauptsächlichen Verschiedenheit der Fälle, um aus dieser Erkenntnis heraus die Ursache für die eine Gemeinsamkeit, längeres Agieren bei starker Gewaltausübung, zu suchen.

Obwohl ich es also für sinnvoller halte, das Phänomen NSU für sich zu begreifen, möchte ich in Form einer Hypothese eine Gleichheit postulieren. Beide Gruppierungen waren nur möglich aufgrund einer spezifischen gesellschaftlichen Stimmungslage. Wenden wir uns dem Beispiel der RAF zu: Diese entstand zu ihrer Zeit auf der Basis eines gesellschaftlich relevant gewordenen politischen Milieus, und konnte sich nicht zuletzt auf Grund dieses Milieus, welches einen Pool von Sympathisant_innen bereit stellte, erhalten. Folgen wir nun meiner These, wirft sich die Frage auf, welches Milieu den NSU ermöglicht hat und in wieweit es als gesamtgesellschaftlich relevant betrachtet werden kann?

Möglicherweise werden uns die nächsten Tage und Wochen einer Antwort näher bringen, angesichts einer möglichen Verwicklung des Verfassungsschutzes ist es jedoch zweifelhaft, inwiefern die sozialen Hintergründe der NSU zu Tage treten werden.