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Krieg der Worte

Mittwoch, 18.05.11. Später Vormittag nach MEZ: Auf SPIEGEL ONLINE wird eine DPA-Meldung zitiert, nach welcher rund 2000 Menschen vor einem Lager der Bundeswehr in Talokan, Afghanistan gegen die Besatzung der NATO demonstrierten. Anlass dieses Protestes soll demnach ein NATO-Angriff in der Nacht zuvor gewesen sein, bei welchen zahlreiche Zivilisten gestorben sein sollen. Ca. eine halbe Stunde später folgt ein weiterer Artikel zum selben Thema.

 

Der Protest wird in besagtem Artikel als "gewalttätig" beschrieben: es sollen Steine und Handgranaten auf das Bundeswehrlager geworfen worden sein. Weiter wird ausgeführt, dass die 'Reaktion' der Bundeswehr elf getötete und 50 verletzte Demonstranten verursacht hätte, wohingegen die Bundeswehr zwei verletzte Soldaten zu beklagen habe. In dem zweiten Artikel wird sogar von "Krawallen" gesprochen; die gesamte Situation wird als "schwerer Zwischenfall" verharmlost.

 

In zitierten Artikeln steht kein Kommentar zu dem starken Missverhältnis der getöteten, bzw. verletzten auf beiden Seiten. Stattdessen wird die Demonstration als "gewalttätig" beschrieben, wohingegen ähnliche Worte für die deutsche Seite, welche offensichtlich ungleich aggressiver handelte, ausblieben. Es bedarf nicht vieler Phantasie, sich auszumalen, welche Reaktionen die hiesige Medienlandschaft aufgebracht hätte, wenn es eine vergleichbare Situation bei einen freiheitlichen Protest, bei beispielsweise einer arabisch-geprägten Diktatur gegeben hätte: Worte wie "Massaker" oder "Blutbad" wären möglicherweise aufgetaucht. Aber hier? Hier gelten die Demonstranten mit ihren elf Todesopfern und 50 Verletzten als "gewalttätig", wohingegen die Armee, mit zwei Verletzten nur in der Reaktion gewesen sein soll...

 

Ich möchte nicht falsch verstanden werden: ich bin nicht vor Ort, habe keine Bekannten und Verwandten dort und bin kein Afghanistanexperte, sondern habe lediglich die beiden Artikel zur Quelle, welche mit genaueren Angaben über die Herkunft der Information geizen. Auch der Zeitpunkt des Ereignisses, bzw. der vorhergehenden NATO-Militäraktion werden nicht benannt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des hier vorliegenden Textes war SPIEGEL ONLINE die einzige größere deutsche Nachrichtenseite, welche sich überhaupt dieser Thematik annahm. Meine Kritik richtet sich daher also nur zum Teil gegen eine offensichtlich gewaltsame deutsche Besatzungsmacht, sondern auch gegen die Berichterstattung deutscher Medien, welche anscheinend unkritisch die Presseaussagen der Bundeswehr kopieren und eine klare Abfolge von Aggressor und Verteidiger suggerieren, welche offensichtlich den simplen Zahlen und Fakten widerspricht. Wir werden sehen, wie sich die Berichterstattung über diesen Vorfall in den nächsten Tagen und Wochen entwickeln wird.


Kommentare

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Inzwischen hat es auch die Tagesschau mitbekommen. Hinweise darauf, wer wann auf wen geschossen hat, fehlen leider auch hier.

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Krasser Vorfall - wenn ich den Zynismus der hiesigen Gesellschaft nicht unterschätze, dann könnte das noch ein Nachspiel haben.

(Außerdem, Daumen hoch für den Kommentar. Und systempunkte.org ist das Medium, von dem ich die Nachricht zuerst erfahre - nicht schlecht für den Anfang.)

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http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,763716,00.html

"Dennoch ist sich die Verantwortlichen sicher, dass durch deutsche Kugeln keine Menschen ums Leben gekommen sein sollen. Zwar wurden nach Erkenntnissen der Bundeswehr vier Menschen vor den Mauern des Camps getötet, allerdings nicht durch Schüsse der Deutschen. Vielmehr, so die Mitteilung, hätten die Soldaten Warnschüsse auf die Beine von mehreren Angreifern abgegeben. Dabei seien sieben bis zehn der Demonstranten verletzt worden."

Ein Kommentar erübrigt sich wohl.