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Gute Tote, böse Tote

In der Nacht vom 25. auf den 26. Mai demonstrierten anlässlich des Unabhängigkeitstages Georgiens tausende Menschen vor dem Parlamentsplatz der Hauptstadt Tiflis für die Absetzung der Regierung unter Präsident Michail Saakaschwili. Nach kurzer Zeit wurde der Platz von der Polizei gestürmt und mit äußerster Gewalt geräumt. Hunderte, vielleicht tausende Demonstrant_innen wurden bei dieser Aktion verletzt. Zwar bestätigte die georgische Polizei bisher nur zwei getötete Protestierer, doch werden auch heute, zwei Tage nach den Geschehnissen, noch immer rund 30 (!) Menschen vermisst. Auch ein Polizist kam um; er wurde bei panischen Fluchtversuchen der Demonstrant_innen mit einem Auto überfahren.

 

Die Medienlandschaft in Deutschland scheint dieses Ereignis geradezu zu ignorieren. Die einzigen deutschsprachigen Artikel, die sich bei einer nicht-repräsentativen Google-Suche fanden, stammen aus der Schweiz. Ein Fernsehclip auf N24 vom Vormittag des 27. Mai zeigte ausführlich eine Videoaufnahme des überfahrenen Polizisten, wohingegen Tote und Verletzte auf Seiten der Demonstrierenden nur am Rande erwähnt wurden.

 

Szenenwechsel: Am Samstag den 28. Mai starben in Afghanistan zwei Bundeswehrsoldaten durch einen Anschlag, zu welchem sich kurz darauf die Taliban bekannten. Nach wenigen Stunden ist die deutsche Medienlandschaft dominiert von diesem Thema; Angela Merkel zeigt sich "schockiert und traurig", Guido Westerwelle ist "bestürzt über diesen barbarischen Terrorakt" und auch eine Pressekonferenz von Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière genießt höchste Aufmerksamkeit. Nur die Wenigsten scheinen sich noch an ein Ereignis von letzter Woche in Talokan, Afghanistan zu erinnern: Bundeswehrsoldaten schossen auf eine Demonstration gegen die NATO-Besatzung; es starben mindestens zwölf Demonstrant_innen. Im Gegenssatz zu dem Ereignis heute Mittag fand jenes letzter Woche weitestgehend außerhalb der Augen der deutschen Öffentlichkeit statt.

 

Bei allen hier genannten Ereignissen, ob in Georgiern oder in Afghanistan sind Menschen getötet worden. Der markabre Eindruck wird jedoch erweckt, dass die deutsche Öffentlichkeit mit zweierlei Maß misst: Zahlreiche tote Demonstranten gehen im Vergleich zu zwei toten Soldaten bzw. einem toten Polizisten geradezu unter.

 

Es geht mir an dieser Stelle nicht darum, die Umstände, unter denen die Menschen gestorben sind, zu bewerten oder gar Tote gegeneinander aufzuzählen. Allerdings scheint genau dies auf perfide Weie in der hiesigen Presse praktiziert zu werden: Einzelne Tote auf staatlicher Seite kommen schnell in den Fokus und werden zum dominierenden Headliner wohingegen zahlreiche tote Zivilisten und Demonstrant_innen als Kolateralschaden in Kauf genommen werden und allenfalls eine Randnotiz darstellen. Ebenso bezeichnend ist es, dass ein solch schockierendes Ereignis wie das in Georgien fast gar keine Erwähnung findet, wohingegen sich die Aufmerksamkeit der dpa-dominierten deutschen Nachrichtenmagazine auf das Championsleaquefinale in London, Durchfälle in Kiel und einen Tornado in Nordamerika zu fokussieren scheinen...