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Die große Debatte um den einen Mord

Die Öffentlichkeit weiß nicht wie genau es geschehen ist, aber alle, die nicht diversen Verschwörungstheorien anhängen, wissen es: Osama Bin Laden wurde von amerikanischen Soldaten erschossen. Überraschenderweise entbrannte in Europa eine Diskussion darüber, ob die Ermordung von Osama Bin Laden legitim war. Alle theoretischen Vehikel werden zur Legitimierung herangezogen, von einem Widerstandsrecht  bis zur Frage ob Osama Bin Laden nicht doch eine Chance auf eine Verhaftung gehabt hätte, die Taz versucht das ganze differenziert zu präsentieren und bemüht unteranderem das Völkerrecht.

Den USA ist diese Debatte großteils fremd, Noam Chomsky war einer der wenigen, der versuchte sie bewusst zu machen. In den USA hängt noch das große Wort "Gerechtigkeit" (Justice) über dem Einsatz, und Europa diskutiert darüber ob es nicht doch eher Rache war. Eine müßige Debatte in Anbetracht dessen, dass in der Mentalität des "Kriegs gegen den Terror" wohl kein großer Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen gemacht wird.

Die gesamte Debatte um die ethischen, rechtlichen und moralischen Hintergründe der Ermordung Osama Bin Ladens ist müßig. Wieder einmal wird um ein großes Gesicht, einen Anführer, ein Symbol debattiert, um Osama Bin Laden. Der ständige Einsatz von unbemannten, aber dafür bewaffneten Drohnen im "Krieg gegen den Terror", und jetzt auch in Libyen, hat niemals eine derartige Aufmerksamkeit erhalten und keine derartige Debatte hervorgerufen. Nur weil Osama Bin Ladens Bild in allen Köpfen steckt, fällt uns bei der Nachricht seines Todes ein, dass auch er Rechte und eine "allgemeine Menschenwürde" hätte, wenn es denn nach dem Grundgesetz und den moralischen Ansprüchen des Westen gehen würde. Nicht jeder Drohnenangriff löst eine solche Debatte aus, den die Toten haben keine Gesichter.

Auch der Normalzustand des Kapitalismus der jedes Jahr Menschenleben fordert, wird nicht fortwährend in dieser Breite diskutiert. Vermutlich weil sich hier keine scheinbare Legitimation durch das Widerstandsrecht finden würde. So blieb es auch an der FAU-IAA auf diese Umstände im Rahmen des Workers' Memorial Day am 28. April, nur wenige Tage vor der Erschießung Osama Bin Ladens, dies zu thematisieren.

Sicher kann lange debattiert werden, ob die Ermordung Osama Bin Ladens rechtens und moralisch korrekt war. Doch Osama Bin Laden hat diesen breiten Raum im öffentlichen Bewusstsein nicht verdient. Wir diskutieren über seine Erschießung, weil wir es nur schwer ertragen könnten, über all die anderen Toten zu reden, über die 2,3 Millionen Todesopfer pro Jahr durch kapitalistische Arbeit, von denen nach Schätzungen vier Fünftel zu vermeiden wären und über die Morde, die ständig im "Krieg gegen den Terror" zu beklagen sind. Es ist eine große Scheindebatte, die ins Leere läuft. Osama Bin Laden ist tot, der Normalbetrieb läuft weiter.

Popkulturell hat sich das Ereignis bereits verarbeitet in einer "Counter-Strike"-Map, die den letzten Fluchtort von Osama Bin Laden nachbildet. Und bald wird auch keine Zeitung mehr darüber schreiben, bis der nächste große Kopf stirbt.


Kommentare

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Hallo Tuli, willkommen bei systempunkte.org!

Kurzer Kommentar zu deinem Post: Offenbar wurde bin Laden nicht in einem Feuergefecht getötet, sondern ohne nenneswerte Gegenwehr in seinem Haus erschossen. Offenbar keine Versuche, ihn festzunehmen und vor Gericht zu bringen. Ich stimme Chomsky in diesem Punkt zu: Freie Gesellschaften erlauben es dem Staat nicht die Todesstrafe zu vollstrecken, erst Recht nicht ohne faires Verfahren und ohne erwiesene Schuld, erst Recht nicht durch militärische Killerkommandos auf fremdem Territorium. Um das so zu sehen, muss man kein Anarchist sein. Das Attentat stellt einen Rückfall hinter elementare bürgerlich-liberale Normen dar. Wir sollten auch die Reaktionen der hiesigen Politiker beobachten, damit wir sehen wie Ernst sie es mit der heiligen und gegen Gegner oft ins Feld geführte Rechtsstaatlichkeit meinen.

Die Debatte um bin Ladens Tod habe ich auch noch anders erlebt: Im Vordergrund stand die Frage, ob man sich über bin Ladens Tod freuen dürfe. Das ist vielleicht eine interessante moralphilosophische Frage, doch vergleichsweise unwichtig. Haben wir uns etwa schon daran gewöhnt, dass Staaten gezielt Menschen ohne Verfahren töten, um "Gerechtigkeit" walten zu lassen (bzw. um bedeutende Propagandasiege zu erzielen)? Machen wir dabei etwa einen Unterschied, je nachdem wen es trifft?

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hey cls,
Es stimmt, soweit wir informiert wurden durch das Pentagon und das Weiße Haus, dass Osama wohl ohne nennswerte Gegenwehr (nennswert im Verhältnis zu einer Seal-Einheit) erschossen wurde. Deswegen spreche ich auch von einer Ermordung.
Meine These ist jedoch, dass dieser Rückfall hinter elementar bürgerlich-liberale Normen schon lange der Fall ist und im Falle des kapitalistischen Produktionsprozesses die "Norm" noch nie erfüllt war. Drohnen sind auch nicht dafür bekannt zu fragen, bevor sie schießen, und sie versuchen auch nicht zuerst einen Verhaftung durchzuführen.
Osama Bin Ladens Tod ist nur ein plakativer Moment der eine Diskussion hervorgerufen hat, die in der Sache eigentlich schon lange nicht mehr aktuell ist.

Stimmt im Deutschland war die Diskussion durch die Frage geprägt, ob mensch sich über den Tod freuen darf, nicht zuletzt auf Grund von einer Wortmeldung von Angela Merkel, in der sie eben ihrer Freude Ausdruck verlieh.