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“Soll man se doch dit jeben, wat se hab’n möchten”

Dass Hausbesetzung mal eine ganz andere Akzeptanz in der Bevölkerung hatte, zeigt sich in einer Dokumentation, die Andrej Holm auf seinem Blog präsentiert.

Das Kraftfuttermischwerk hat mal wieder einen Leckerbissen ausgegraben. In seiner liebevollen Dokumentation “Im Turm – Hausbesetzer in Kreuzberg” (1981) porträtiert Wieland Backes eine Gruppe von Hausbesetzer/innen und ihrer Nachbar/innen im Leuschnerdamm 9 in Berlin Kreuzberg. Der Film zeigt den Aufbruch einer Generation, denen das Westberlin der 1970er/80er Jahre nicht viel mehr zu bieten hatte als Tristesse und Arbeitslosigkeit. Zugleich gibt die Dokumentation einen spannenden Einblick in das damalige Alltagsleben und die Gewalttätigkeit der Stadtplanung in Kreuzberg.

Die knapp 54 Minuten sind eine wirklich gut angelegte Zeit für alle, die sich für die Geschichte Kreuzbergs und des Häuserkampfes interessieren.

Das titelgebende Zitat geht auf eine ehemalige Nachbarin der Hausbesetzer/innen zurück, die mit ihrer Familie in eine neugebaute Sozialwohnung an den Heinrichplatz gezogen war und nicht nur wegen der nun deutlich höheren Miete (von 220 auf 750 DM) viel Sympathie für die Hausbesetzungen zeigt.  Die Interviewpassage (ca. ab 21:30 min) vermittelt einen ganz guten Eindruck über das hohe Maß an Akzeptanz, das die Hausbesetzungen in der Nachbarschaft hatten:

"Frage: Wie stehen Sie denn zu den Gewalttätigkeiten?

Antwort: Gewalttätigkeiten, wie meinen Sie denn dit? Gewalttätigkeiten – ick find dit keene Gewalttätigkeiten. Wieso? Wieso sind die gewalttätig?  Soll man se doch dit jeben wat se hab’n möchten, dann sindse och nich gewalttätig"


Leider wurde den Bewohner/innen des Leuschnerdamm 9 nicht gegeben, was sie wollte. Das Haus wurde nur wenige Wochen nach den Filmaufnahmen von der Berliner Polizei geräumt und wird heute heutzutage für das Geschäft mit den Ferienwohnungen genutzt.

Statt kollektiver Wohnprojekte wird “mit Blick auf den grünen Hof und den Kinderbauernhof” das “Apartment am Engelbecken” angeboten. Wirklich fast zum heulen: Die im Film beschriebene Gründung des Kinderbauernhofes durch die Hausbesetzer/innen verwandelt sich im touristischen Kreuzberg in einen beworbenen Standortfaktor für das Fereienwohnungsgeschäft [sic]. Viel plastischer lassen sich die aktuellen Veränderungen in Berlin Kreuzberg eigentlich nicht beschreiben. [Der Content von Andrej Holm steht unter Creative Commons Lizenz]

Eingebettetes Video: